Schon der Titel von Alwin Lays Einzelausstellung im Leipziger Kunstverein deutet auf ein Motiv der Fotografiegeschichte hin, das eng mit dem Œvre Henri Cartier-Bressons und seiner Haltung zum fotografischen Bild verbunden ist. »L’instant décisif« – das Objektiv verschmilzt mit dem Auge des Fotografen, der die Kunst beherrscht, genau im richtigen Moment abzudrücken. Der hier mit einkalkulierte Zufall (und die Fähigkeit der FotografInnen, genau diesen einzufangen) wurde im Laufe der Zeit, in der die Fotografie sich zunehmend im Feld der bildenden Kunst etablierte, weitestgehend zur Strecke gebracht: Den Konzepten der Künstlerinnen und Künstler, die nicht mehr, wie einst Henri Cartier-Bresson, auf der Straße herumlaufen und auf die Hundertstelsekunde des Abschusses warten, entspringen durchkomponierte und konstruierte Arrangements und Tableaus. Wenn Lay seinem Ausstellungstitel eine Fotografie zur Seite stellt, die aufgrund von Langzeitbelichtung nur noch geisterhaft die Schemen eines Fotografen an seiner Großformatkamera zeigt, sinnfälligerweise auf der Straße, dann illustriert er damit genau das: Die Augenblicke sind viele. Oder: Der Augenblick kann unendlich sein. Er musste also »verschoben werden«, nur wohin?
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